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Angst vor digitalen Geschäftsmodellen im Energiesektor

Den neuen, digitalen Geschäftsmodellen der Energiewirtschaft droht, kaum dass sie sich zu etablieren beginnen, bereits Ungemach. Denn es gibt sie, die „German Angst“ vor der Digitalisierung. Grund genug, der Frage nachzugehen, wie Stadtwerke und Co. diesen Vorbehalten begegnen können.

Veränderungen können Ängste auslösen. Ähnlich der Situation in nahezu allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen moderner Industriegesellschaften unterliegt auch die Energiewirtschaft heute der mitunter disruptiven Wirkung digitaler Technologien.

Klassische Geschäftsmodelle befinden sich auf dem Rückzug

War in der Vergangenheit der Innovationsdruck im Energiesektor im Branchenvergleich eher abgeschwächt, sehen sich heutige Versorgungsunternehmen der Verschmelzung von Energiemarkt einerseits und Informationstechnologie anderseits sowie deutlich verkürzten Produktlebenszyklen ausgesetzt. Gerade Entwicklungen wie verbesserte Erzeugungstechniken, die fortschreitende Digitalisierung und die sukzessive Einführung von Big-Data-Anwendungen entlang der energiewirtschaftlichen Wertschöpfung verändern derzeit das Gesicht des Energiesektors nachhaltig. So ist bislang noch nicht absehbar, welche Konsequenzen beispielsweise für die Abrechnungsfunktionen heutiger Energieunternehmen erwachsen, wenn eines Tages PayPal, Google Wallet oder Apple Pay womöglich in die Abrechnung von Energiemengen einsteigen sollten.

Arbeiten 4.0 erfasst den Energiesektor

Die Digitalisierung hat längst den Arbeitsmarkt erfasst. Was mehr oder weniger über alle Branchengrenzen gleichermaßen hinweg gilt, trifft in besonderem Maße für die über Jahre recht konservativ agierende Energiebranche mit ihrem inzwischen aufgelaufenen Nachholbedarf bei der Modernisierung des eigenen Leistungsportfolios zu. Es besteht kaum ein ernsthafter Zweifel daran, dass bei Energieversorgungsunternehmen der technische Fortschritt eine Vielzahl an Arbeitsplätzen erheblich verändern oder gänzlich überflüssig machen wird. So wird beispielsweise das Heer von Mitarbeitern, das die bislang maximal teilautomatisierten repetitiven Massenprozesse der Abrechnung betreute, auf weitere Sicht entbehrlich. Digitalisierungsinduzierte Existenzängste sind in Teilen der Belegschaft heute bereits Realität. So weit, so bekannt.

Die Angst des gläsernen Energiekunden

Aber nicht allein der Bestand klassischer Energieversorgungsunternehmen ist in der digitalen Welt bedroht. Digitales Ungemach droht auch an anderer Stelle. So überkommt im Zeitalter von Smart Metering und Big Data den einen oder anderen Energiekunden das ungute Gefühl, zunehmend gläsern zu werden. Befürchtungen nach einer lückenlosen Überwachung der eigenen Lebensgewohnheiten rund um die Uhr werden laut. Mithin unterstellen einige Letztverbraucher, dass ihr Nutzungsverhalten Tag und Nacht ausgeforscht wird, um so Rückschlüsse auf in einem Haushalt tatsächlich lebende Personen, den Sozialstatus der Bewohner etc. ziehen zu können. Sie sehen ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Smart Metering und Energiedatenmanagement tangiert. Das Bild vom digitalen Energiedienstleistungsunternehmen – dem Utility 4.0 – als Datenkrake, welches unablässig mit großem Fleiß und Eifer personenbezogene Informationen sammelt und auswertet, macht die Runde.

Digitale Geschäftsmodelle müssen „fair“ sein

Wie gehen wir also mit unserer „German Angst“ vor der Digitalisierung konstruktiv um? Mit einem Augenzwinkern und zugegeben in einem anderen Kontext sagt Manfred Lütz dazu:

„Im Dreißigjährigen Krieg waren die Leute rund um die Uhr für die Schweden erreichbar. Das war viel unangenehmer. Im 19. Jahrhundert gab es Massenarmut, im 20. zwei Weltkriege. Wir sollten die Kirche im Dorf lassen.“ [1]

Lassen wir also im Digitalisierungskontext sozusagen die Kirche im Dorf. Gewiss ist die Gefahr des Missbrauchs personenbezogener Daten durch Utilities 4.0 gegeben. Unbestritten werden nicht wenige Versorgungsunternehmen den Anschluss an den Markt verlieren und damit gewissermaßen ihre Spielberechtigung in der digitalen Energiewelt von morgen einbüßen. Und nicht zuletzt wird innerhalb der Energiebranche ein signifikanter Anteil der Mitarbeiter in Zukunft wohl nicht mehr benötigt, weil deren bisherige Tätigkeiten durch vollautomatisierte Betriebsprozesse substituiert werden. Da diesen Bedrohungen auch Chancen gegenüberstehen und die digitale Transformation den von Manfred Lütz beschriebenen epochalen Katastrophen nicht ansatzweise gleichkommt, besteht Hoffnung.

Die Digitalisierung bietet eine Fülle großartiger Chancen und völlig neuer Möglichkeiten, die es zu nutzen gilt. Um diese jedoch nutzen zu können, muss es den Versorgungsunternehmen gelingen, zunächst die vorhandenen Ängste abzubauen und eine stabile Vertrauensbasis in Bezug auf Big Data etc. zu etablieren. Dies geschieht glaubhaft, indem diesen Ängsten „faire“ Geschäftsmodelle der digitalen Energiewelt gegenübergestellt werden. Diese sollten den nachfolgenden vier Mindestanforderungen genügen:

  • Digitale Geschäftsmodelle sind nur dann langfristig tragfähig, wenn diese von der Öffentlichkeit als nachhaltig erkannt werden. Digitale Lösungen verlieren ihren Schrecken, wenn glaubhaft belegt wird, dass Big-Data-Anwendungen entscheidend zur ressourcenschonenden Energieversorgung beitragen.
  • Utilities 4.0 müssen jederzeit sicherstellen, dass sie die sensiblen (Verbrauchs-) Daten ihrer privaten und gewerblichen Kunden streng nur im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen nutzen. Der Kunde darf dabei nicht den Eindruck gewinnen, dass er die Hoheit über seine eigenen Daten verlieren könnte.
  • Alle Betriebsabläufe müssen modernen Datensicherheitsanforderungen jederzeit lückenlos und vollumfänglich entsprechen.
  • Verantwortliches Handeln von Energiekonzernen, Regionalversorgern und Stadtwerken konkretisiert sich schließlich auch im öffentlichkeitswirksamen Umgang mit den eigenen Mitarbeitern. Fatal und die Ängste bestärkend wäre es, wenn langjährige Mitarbeiter in nennenswertem Umfang durch digitalisierte Prozesse ersetzt werden würden. Digitale Geschäftsmodelle müssen auch gegenüber Mitarbeitern „fair“ sein.

Die Angst vor digitalen Geschäftsmodellen im Energiesektor folgt keinem Naturgesetz. Wenn es der Versorgungswirtschaft glaubhaft gelingt, die de facto existierenden Vorbehalte auszuräumen und das Vorhandensein geeigneter Schutzmaßnahmen sicherzustellen, dann werden auch hierzulande digitale Lösungen auf breite Akzeptanz stoßen.

Geschrieben von Oliver D. Doleski

→ Bild: © Carla (9 Jahre)

→ [1] Aust, M. (2011). Interview mit Manfred Lütz: „Laut Ratgeber ist jeder ausgebrannt“. Köln: Kölner Stadt-Anzeiger. Zugegriffen: 10. Nov. 2016.

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